"Ab jetzt geht's nach Norden"

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Irgendwie haben wir beide seit einigen Tagen das Gefühl, gar nicht mehr richtig im Urlaub zu sein. Mit Verlassen Ushuaias hat ja mehr oder weniger unsere Rückreise nach Deutschland begonnen, auch wenn es noch etwas dauert. Doch das Reisegefühl ist nun doch etwas anders, da wir den Ablegetermin unseres Schiffes im Kalender notiert haben und somit nicht mehr ganz so unbeschwert durch die Landschaft tuckern können wie noch vor einem Jahr in Kanada. Immer mal wieder schauen wir auf unsere Fahrtstrecken und rechnen unseren Schnitt, damit wir auch nicht zuviel Zeit an den verschiedenen Orten verbringen.

Doch auch wenn wir nicht in der perfekten Jahreszeit unterwegs sind, gibt es auch jetzt und hier einige sehr schöne Dinge anzuschauen. Den Garibaldi-Pass haben wir unbeschadet überquert. Zwar hatte es etwas geschneit, selbst unten in Ushuaia war das Wetter doch sehr rau und wir haben das Schlimmste erwartet. Aber es kam, wie wir bereits berichtet haben, anders und wir waren nicht unglücklich, dass wir den Pass ohne Murren der Polizei wegen fehlender Schneeketten und vor allem aber ohne gröbere als vorgekommene Ausrutscher überfahren haben.

Natürlich sind wir auch auf unserer Rückfahrt - die ersten gut 350 km fahren wir auf der gleichen Straße wie auf dem Hinweg - in dem kleinen Örtchen Tolhuín eingekehrt und haben uns dort dutzendweise mit den leckeren Empanadas versorgt, ja regelrecht eingedeckt. Tagelang konnten wir von diesen delikaten Teigtaschen zehren, die hierzulande genauso beliebt sind wie in Chile. Auch in Rio Grande sind wir zielstrebig an die uns bekannte Tankstelle gefahren und haben uns dort über Nacht hingestellt, internettiert und es uns gut gehen lassen. Schon bald werden wir wieder die Magellanstraße erreichen (Wir bitten bei unserer portugiesischen Stammleserin um Verzeihung, dass wir hier die eingedeutschte Schreibweise der Magalhãesstraße verwenden!) und mit der Fähre wieder hinüber auf den amerikanischen Kontinent übersetzen. Im Übrigen wurden wir nach vergeblicher Argumentation, dass wir nur ein kleines Auto seien, erneut kräftig zur Kasse gebeten. Egal, denken wir uns, und freuen uns darüber, dass das Wetter hier auf dem Kontinent zumindest besser, weil nicht ganz so frostklirrend wie weiter im Süden ist.

Auch begleitet uns endlich wieder die Sonne. Hätten wir in der Schule mal besser aufgepasst, wären wir weniger verwundert darüber gewesen, dass uns die Sonne bei unserer Fahrt nach Norden immer mitten ins Gesicht scheint. Hier wird uns wieder einmal bewusst, dass wir auf der Südhalbkugel der Erde unterwegs sind und hier nicht nur das Wasser angeblich linksherum dreht, bevor es sich durch den Abfluss verabschiedet (Können wir allerdings auch nach zahlreichen Selbstversuchen nicht bestätigen!), sondern auch die Sonne über Norden nach Westen zieht. 

Zu richtigen Langschläfern gezwungen - die Sonne geht erst um 9.30 Uhr auf - fahren wir Kilometer um Kilometer durch endlose Pampa. Hin und wieder unterbrochen von dem ein oder anderen Hügelchen, alle paar Kilometer kreuzen Schafe oder andere tierische Bewohner Patagoniens unseren Weg und bringen etwas Abwechslung in unseren Fahrtag. Aber es bleiben oft ganze Fahrtage, da die Entfernungen zwischen unseren Stationen endlos sind. All jene, die unseren Weg bereits gefahren sind, werden sich an die schier unendlichen Etappen ihrer eigenen Reise erinnern. Allen anderen ist dies fast nicht zu erklären. Immer wieder auch staunen wir fassungslos, was diese Strecke erst für Fahrrad-Weltreisende bedeuten muss. Windböen von sicherlich an die Hundert Stundenkilometer drücken meist aus Westen von links gegen das sich durch diese Weiten dieselnde Tesomobil. Auch haben wir seinerzeit die Bilder von Thomas Gand, Thomas' alten Bekannten, im Internet verfolgt, wie er sich bei seiner Fahrradweltreise mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den Wind gelegt hat. Im 45 Grad Winkel gegen den Wind und doch nicht umgefallen. Jetzt, auf 170 Pferden sitzend, können wir nur respektvoll den Hut ziehen, wie man eine solche Strecke auch noch auf einem Drahtesel zurücklegen kann, ohne sich nach drei Tagen Fahrt durch die Einöde mit dem Pampasgras einen Strick zu bauen. Radfahrbegeisterte können sich hierüber gerne nochmal auf seiner Seite 
www.reiseleben.de überzeugen. Also Thomas, noch im Nachhinein unsere Anerkennung!

Irgendwann biegen wir nach links ab und fahren hinüber zum Parque Bosque Petrificado, wo wir uns für die Nacht bei der Estancia Paloma unterstellen, da dies der einzige etwas windgeschützte Ort ist. Am nächsten Morgen erwandern wir den versteinerten Wald und schauen uns tief beeindruckt die versteinerten, mehrere Millionen Jahre alten Baumriesen an. Teils mehr als zwei Meter dick im Durchmesser liegen zu Stein gewordene Baumstämme in der Steppe. Vulkanausbrüche haben seinerzeit dafür gesorgt, dass der Wald von Asche bedeckt wurde und so nicht verrottet ist, sondern die Bäume zu Stein kristallisierten. So kommt es, dass sich die Baumstämme für uns nun wie feinster Mamor anfühlen und toll aussehen. Ein Umweg von unserer Route, den wir nicht bereuen.

Ein ingesamt schöner Tag, den wir am Abend gerne in Caleta Oliva mit einer kleinen Feier abrunden möchten, da wir mit dem heutigen Tag genau ein Jahr unterwegs sind. Der Verlauf des Abends kommt aber doch etwas anders, als wir ihn geplant haben. Denn als wir aus einer Ferreteria kommen, wo wir ein Geburtstagsgeschenk für das Tesomobil gekauft haben - einen Imbussschlüssel, der groß genug ist für unsere Ölablaßschrauben an Getrieben und Differentialen - werden wir von Ariel und seinem Freund Sergio angesprochen. Wir plaudern über das Reisen im Fernreisemobil, über den Expeditionsmobilbau und kurze Zeit später sind wir eingeladen, mit ihnen und ihren Frauen den heutigen Abend bei einem Asado zu verbringen. Bei soviel Spontanität und Gastfreundschaft verdrängen wir, dass 21:30 für uns eine ungewöhnliche Uhrzeit für das Abendessen ist und willigen gerne ein.

So finden wir uns kurze Zeit später in Ariels Haus ein, wo Valeria, Ariels Frau, bereits mit der Vorbereitung der Picada, wie die Asadovorspeise genannt wird, beginnt und Sergio mit seiner Frau Analía kurzerhand in der Einfahrt des Hauses ein großes Feuer macht. Wir verbringen einen fantastischen Abend mit den vieren, die schon viel von Welt und vor allem Europa gesehen haben. Endlich werden wir darüber aufgeklärt, was es mit den unzähligen kleinen Altären am Straßenrand auf sich hat, die teilweise mit gefüllten PET-Flaschen oder mit roten Fahnen geschmückt sind. Bislang dachten wir, dass sie die Stellen markieren, an der jemand bei einem Verkehrsunfall zu Tode kam. Doch vielmehr handelt es sich um die Verehrung zweier Volksheiliger, die zwar von der katholischen Kirche nicht anerkannt werden ihrer Beliebtheit bei den Argentiniern tut es jedoch keinen Abbruch.

Bei Gauchito Gil handelt es sich um die Legende eines Farmarbeiters, der auf Grund seiner Beziehung zu einer  reichen Witwe in Schwierigkeiten kam und in die Armee flüchtete. Dort desertierte er im Bürgerkrieg, um nicht gegen die eigenen Landsleute kämpfen zu müssen. Als er später dafür gefangen genommen wurde, sollte er durch die Hand eines Henkers zu Tode kommen. Als der Henker ihn töten wollte, eröffnet ihm Gauchito, dass sein kranker Sohn dadurch gerettet werden könnte, dass der Henker zu ihm bete, andersfalls würde sein Sohn sterben. Nichtsdestotrotz erfüllte der Henker seine Pflicht. Als er nach Hause kam, war sein Sohn sehr krank und wie durch ein Wunder wurde er wieder gesund, nachdem der Henker zu Gauchito Gil gebetet hatte.

Nicht ganz so spektakulär ist dagegen die Legende der Difunta Correa (übersetzt: Die Verstorbene Correa), dennoch jedermann in diesem Lande ein Begriff. Die Difunta machte sich zu Zeiten des Bürgerkrieges mit ihrem Säugling auf die Suche nach ihrem verschleppten Ehemann, den sie in der Wüste vermutete. Da sie kein Wasser bei sich hatte, verdurstete sie, doch ihr Säugling überlebte Dank ihrer Muttermilch. Noch heute zollt man ihr dadurch Tribut, dass man an allerorten aufgestellten Altaren am Straßenrand mit Wasser gefüllte Flaschen hinterlässt und um ihre Unterstützung bittet.

Wir finden noch viele andere Gesprächsthemen und werden die ganze Nacht über nicht müde. Etwas erschrocken - die Veranstaltung hat sich zwischenzeitlich in das vor dem Haus geparkte Tesomobil verlegt - schauen wir um halbfünf auf die Uhr. Wohl dem, der am nächsten Tag nicht arbeiten muss - und das bestrifft im Fall unserer illustren Runde nur zwei Leute! Doch trotz der durchgemachten Nacht raffen sich Valeria und Ariel am nächsten Tag auf und zeigen uns, wie man hierzulande den Mate-Tee zelebriert und schenken uns auch noch alle erforderlichen Utensilien wie eine Bombilla, einen Mate und Yerba, wie man den metallenen Halm, das Trinkgefäß und die dazugehörigen getrockneten Blätter nennt. Wir verbringen noch etwas Zeit mit dem aufgeschlossenen Pärchen und besichtigen gemeinsam die Seelöwenbänke unweit der kleinen Stadt Caleta Olivia, bis die beiden die kleine Unterbrechung ihres Arbeitsalltags beenden müssen und wir unsere Fahrt gen Norden wieder aufnehmen. Vielen Dank an alle vier für einen unvergesslichen Abend!

Für den nächsten Tag planen wir einen Gang durch Gaiman, einem sehr alten und nicht minder kleinen Dörfchen am Rio Chubut, in dem 1865 walisische Siedler landeten und ihre Teekultur verankerten, die bis heute noch aufrecht erhalten wird.  Wir lassen uns einen Besuch in einem der vielen Teehäuser nicht entgehen, sind allerdings etwas überrascht, als wir neben einer riesigen Teekanne und gebutterten Broten auch 14 (!) Stücke Kuchen serviert bekommen. Das übersteigt selbst unseren Appetit!

So können wir aber tagsdrauf unseren Ausflug unternehmen: Einem Spaziergang durch ein riesiges geschichtliches Bilderbuch gleicht unser Besuch des paläontologischen Lehrpfades unweit des Dorfes. Wir wandern durch ehemalige Ausgrabungsstätten und können unter unseren Füßen und an den Hängen der uns umgebenen Tafelberge 40 Millionen Jahre alte Erdgeschichte ablesen. In luftiger Höhe stößt der Wanderpfad auf unzählige Muscheln und Knochen von verschiedensten Meeresbewohnern. Unvorstellbar, dass hier in früheren Zeiten noch Wale und Delfine geschwommen sind. Doch die über 10 Millionen Jahre alten Muscheln lassen keinen Zweifel zu!

Leider treffen wir auf unserem Weg keine Pinguine. Die kleinen Frackträger sind nun im warmen Brasilien unterwegs und kommen erst gegen September/Oktober nach Patagonien. Auch sind Delfine oder gar die die Seelöwen jagenden Orkas zu dieser Zeit nicht wie im Sommer vor der patagonischen Küste zu finden - bestimmt ein gutes Argument, irgendwann noch einmal hierher zu kommen. Doch Wale gibt es bereits vor der patagonischen Atlantikküste. Das wird uns auch auf unserem Abstecher der Uferpiste entlang von einer sehr netten Frau bestätigt, die sich mitten im Nichts gemeinsam mit ihrem Mann ein altes und verlassenes Anwesen - mehrere teils zur Unkenntlichkeit verfallene Steinhäuschen - renoviert und zum Campingplatz ausbauen möchte. Ein traumhafter Strandabschnitt mit bereits jährlich vielen europäischen Reisemobilisten - Allradler und normale Mobilheime - wird somit bald von einer wirklich netten Familie herausgeputzt und wird sicherlich auch erfolgreich sein. Und Puerto Madryn mit der nur wenig entfernten Halbinsel Valdés ist nicht mehr fern.

Diese Hafenstadt ist auch Ausgangspunkt für unsere Walbeobachtungen und ist selber auch schon einen Besuch wert. Mit seiner schönen Uferpromenade und einem hervoragenden Fischrestaurant empfängt uns die Stadt genau nach unseren Wünschen. Zu lang war die Fahrt durch auch schöne, aber recht ereignislose Pampa. Einige Kilometer von Madryn entfernt finden wir den richtigen Standplatz direkt am Meer, um in der ersten Reihe einem grandiosen Naturschauspiel beizuwohnen. Hier treiben es die Wale zur Paafrung, entschuldigung, hierher treibt es die Wale zur Paarung und zum Gebären ihrer Kinder. Wir sitzen stundenlang beobachtend da, bis uns die Dunkelheit die Sicht versperrt.

Die Eindrücke der Bootstour am folgenden Tag führen wir nicht weiter aus, wollen wir sie doch für uns behalten und wären sie ohnehin nicht in Worte zu fassen!

Wir sind gespannt, was noch folgt, und grüßen aus einer Kneipe in Mar del Plata (Nicht wundern, dass unser Bericht in Puerto Madryn endet. Wo das Internet fern, da die Geschichten veraltet...) und verabschieden uns von Euch vorerst aus Argentinien mit allen guten Wünschen über den großen Ozean.

Lella & Tommi

Entsprechende Bildergalerie der ehemaligen privaten web page ansehen:

www.tesomobil.de/index.php

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