"Chepe – mit dem Zug durch die Barrancas del Cobre"

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Dieser Tage stellen wir unser Tesomobil einmal ab, um ihm eine kleine wie wohlverdiente Ruhepause von den Strapazen in den letzten knapp zwei Wochen zu gönnen. Der Plan sieht auch einen Ölwechsel und etwas Pflege unserer "casa rodante" nach nunmehr insgesamt 20.000 gefahrenen Kilometern vor.

In Los Mochis, der Hauptstadt des Bundesstaates Sinaloa, gibt es eine Mercedes LKW-Werkstatt, was darauf hoffen lässt, dass wir auch einen passenden Ölfilter finden. Bis es soweit ist, stehen wir, wie der Zufall es will, genau vor dem Haus von Rafael und Sandra, zwei sehr netten Einwohnern, die herrlich wohlschmeckende Tacos bereiten, womit wir es auch nicht weit zu einem sehr guten Restaurant haben. Wer die vier Stühlchen an kleinen Tischen direkt vor einem Haus so bezeichnen möchte, zählt wie wir zu denjenigen, die es gerne einfach und unprätentiös lieben bzw. zu lieben gelernt haben. Wir sind sehr angenehm überrascht, als uns Rafael am späten Vormittag – wir mussten nach der etwas anstrengenden Fährfahrt erst einmal ordentlich ausschlafen – Camarones Ahogados zaubert, in Limettensaft gegarte Garnelen an Tomatensoße mit Zwiebeln und Chili. Ablehnung ist ausgeschlossen und wir sitzen alle gemeinsam auf seiner Terrasse und genießen diese lokale Köstlichkeit!

Anschließend beschließen wir, gemeinsam ein paar Häuser weiter zu einer Bekannten Rafaels zu ziehen, die Thomas mal wieder einen Haarschnitt verpassen soll. Wir finden das kleine Friseurgeschäft um die Ecke geschlossen vor, als unser Begleiter schon zum Schrei ansetzt und ein kräftiges wie lautes „Lupita!“ in Richtung der geschlossenen Türe hinter einem schmiedeeisernen Vorhang schreit. Nach einigen Sekunden öffnet sich die Türe und hinaus kommt eine kleine mit einem Suppentopf bewaffnete Frau. Den Topf hat sie, wie das Lächeln, das sie Rafael entgegen wirft, signalisiert, nicht etwa als Abwehrmaßnahme dabei. Nein, sie ist bei den Essensvorbereitungen. Kurzerhand ist das Kochen zur Nebensache erklärt und sie schließt die Türe zu ihrem kleinen Salon mit den Worten auf, dass dann eben etwas später gegessen wird. Nur wenig später ziert auch schon der letzte Schrei in Sachen Haartracht Thomas' Gesicht nebst obligatorischem Schurbart - keine Sorge, er ist nur von kurzer Dauer!

Bald ist denn auch der Moment des Abschieds von unseren Gastgebern, deren Vorgarten wir fast zwei Tage bewohnten, gekommen und wir fahren weiter  auf der Suche nach dem Bahnhof, an dem wir die Zugtickets für unseren Ausflug in die kühleren Regionen erwerben.

Direkt gegenüber dem Bahnhof sehen wir eine Frau in ihrem Vorgarten auf einem Plastikstuhl sitzen und erinnern uns an einen Reisebericht anderer Reisender, die seinerzeit ihr Reisemobil in einem Vorgarten unweit des Bahnhofes abgestellt haben. Das hier und heute im Vorgarten stehende kanadische Reisemobil ermuntert uns, die Dame zu fragen, ob sie Señora Lidia sei. Wir stellen uns einander vor und halten einen kleinen Plausch. Sie erinnert sich an die damaligen Gäste und lässt nichts unversucht, uns zum Bleiben und Unterstellen unseres Tesomobiles zu bewegen. Da hat jemand eine kleine Marktlücke für sich erkannt und bewacht direkt an der Bahnstation die Fahrzeuge der Touristen für ein kleines Entgelt, ohne sich von zu Hause wegbewegen zu müssen. Sehr clever!

Es sind nur wenige Kilometer durch die geschäftige Stadt Los Mochis zurückzulegen und somit parken wir nur wenig später auf dem bewachten und eingezäunten Firmengelände von Camiones Vence auf dem Blvd. Adolfo Lopéz Mateos, einer offiziellen Mercedes-Werkstatt. Martín Sánchez Acosta (Enzo, der sieht aus wie Giacomo von Aldo, Givanni e Giacomo) ist der Name des sehr freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeiters, der alles für uns regelt. So stellt er uns bei den Sicherheitsbeamten vor, dass sie uns auch nachts in das Gelände rein- und rauslassen, und bestellt für uns sogar das Taxi für den nächsten Morgen, das uns um kurz vor vier Uhr nachts zum Bahnhof bringen soll, nicht ohne einen Festpreis für die Fahrt auszuhandeln. Wir plaudern noch ein paar Worte mit dem hiesigen Jefe de Servicio, Señor Martín Robles Loza, der sich um alles Technische rund um die Werkstatt kümmert und somit unser Ansprechpartner in Sachen Reparatur ist. 

Verwundert darüber, dass wir Terminlosen den seltenen Ruf des Weckers gehört haben, stehen wir nach einem kurzem Frühstück am Straßenrand und sind noch mehr darüber verwundert, dass der bestellte Taxifahrer doch tatsächlich pünktlich wie ein Schweizer um vieruhrfünfundvierzig vorfährt.

Schon bald sitzen wir auf unseren gemütlichen Sesseln des Chepe, dem wohl berühmtesten Zug Mexikos, der Chihuahua mit der Pazifikküste verbindet. Für uns bedeutet die Fahrt durch die Barrancas del Cobre, ein riesiges und mehrfach größeres Schluchtensystem als das des Grand Canyons und damit das größte der Welt, auch gleichzeitig Abkühlung und Erholung von den feuchtwarmen Tagen und Nächten der vergangenen Wochen.

Von Los Mochis führt die Strecke oft im Schneckentempo in eine zerklüftete Berg- und Talwelt der Sierra Madre Occidental und später mitten durch die Sierra Tarahumara, benannt nach den Indígenas, die hier mit mehr als 50.000 Menschen teils noch isoliert in Höhlen in den zahlreichen Canyons leben. Es ergeben sich unterwegs Einblicke in tiefe Schluchten und Aussichten auf bizarre Felsformationen. Unsere Fahrt führt über etliche Brücken und durch zahlreiche Tunnels durch die verschiedensten Vegetationszonen und wir können mit eigenen Augen erleben, warum  diese Zugstrecke als eine der spektakulärsten der Welt gilt.

Es geht hinaus aus dem subtropischen Küstengebiet durch Kakteenlandschaften hindurch in kühlere Bergregionen hinein. Die bereits in die Jahre gekommene Diesellok sorgt unter dicken Rauchschwaden dafür, dass wir die 2400 Meter Höhenunterschied auf unserer 653 Kilometer langen Fahrt bis nach Creel überwinden und schließlich einen planmäßigen Zwischenstopp in El Divisadero einlegen, wo Frauen und Kinder versuchen, Handarbeiten an die Reisenden zu bringen. Dutzende von Taco-Ständen laden zu einem kleinen Snack ein. Hier bekommen wir auch erstmals das Schuhwerk zu Gesicht, dessen Abbild unseren Zug an jedem Wagon ziert - die traditionellen Sandalen aus Lederbändern, die die Tarahumara auf ihren bis zu 200 Kilometer langen Langstreckenläufen durch die Schluchten der Canyons tragen. Leider ist die Zeit nur sehr kurz bemessen und so verlassen wir diesen Ort nur wenig später wieder, nicht jedoch ohne einen Blick in die mächtige Kupferschlucht, die Barrancas del Cobre zu werfen.

Nach fast zwölfstündiger Fahrt sind wir heilfroh, den Zug an unserer Endstation verlassen zu können. Da wir keine Hotelbuchung für die Nacht haben und schon stehend k.o. sind, springen wir flinken Fußes in einen Hotelbus einer großen amerikanischen Kette. Der Sprung erweist sich als goldrichtig, denn hier verbringen wir eine entspannte Nacht in der Kühle und nutzen die angebotenen sanitären Einrichtungen ausgiebig. Wundert Euch nicht, wenn wir auf den nachfolgenden Bildern gar nicht mehr so gebräunt erscheinen - wir haben geduscht!

Lumpi, ein schwarzer Gassenköter, gesellt sich am nächsten Morgen als treuer Begleiter auf unserem Erkundungsspaziergang durch das Städtchen Creel zu uns. Immer wieder bellt der kleine Geselle unseren Weg kreuzende Autos heftig an. Ein richtiger Beschützer! Zu mehr als einen zweistündigen Aufenthalt reicht es angesichts der baldigen geplanten Rückfahrt allerdings nicht. Wir sind aber froh, dass Lumpi mit dem Eintreffen anderer Touristen andere Menschen findet, denen er seine Zuneigung zeigen kann, hatten wir schon Angst, dass der Kleine von einem Zugschaffner mit einem heftigen Tritt verjagt werden würde bei dem Versuch, uns auf den Bahnsteig zu begleiten.

Gut, dass wir die gleiche Strecke zweimal abfahren, so haben wir wieder allerhand Gelegenheit, die auf der Hinfahrt verpassten Sehenswürdigkeiten zu bestaunen.

Eine schwüle Abendluft und zahlreiche Einstiche in unsere nackten Beine verkünden die Rückkehr nach Los Mochis. Die planmäßige Verspätung des Zuges macht es quasi unmöglich, ein Taxi vorzubestellen und so wundern wir uns auch nicht, dass dies seitens der Taxifahrergemeinschaft geschäftstüchtig wie schamlos ausgenutzt wird. Für die Rückfahrt bezahlen wir etwas mürrisch den dreifachen Preis, verzichten aber darauf, dem verwunderten Taxifahrer, der uns vor der nächtlich verwaisten Mercedes-Werkstatt herauslässt, ein Trinkgeld zu geben. Lella weckt noch schnell den Wachmann und wir verschwinden schnellstmöglich im Tesomobil, um den Moskitos nicht unnötig Angriffsfläche zu geben. So verbringen wir nach kurzem Ausflug diese Nacht wieder in unserem Mobil mitten auf der Grube, auf der man das Auto nach erfolgtem Ölwechsel hat stehen lassen.

Es sind durchweg gute Straßen, die uns 220 Kilometer weiter auf der #15D südlich voranbringen. Angeblich hat die Studenten- und Industriestadt zwischen Los Mochis und Mazatlán nicht viel zu bieten. Aber weit gefehlt! Nach kurzer Stadtrundfahrt durch das historische Zentrum Culiacáns vorbei an alten Häusern und der Kathedrale stellen wir uns neben "La Lomita", der kleinen auf einem Berg gelegenen Kirche aus Spannbeton, der auf den ersten Blick sehr beschaulich aussieht. Es gehört schon einiges an Geschick dazu, immer genau den Ort auszuwählen, an dem schon wenig später das Leben aufblüht. Schon auf dem Kirchplatz genießen wir gemeinsam mit unseren beiden gegrillten Maiskolben das Schauspiel. Man feiert heute 15. Geburtstag. Die Zelebrierte, in ein wallendes unifarbenes Kleid gehüllt, begleitet von gleich gekleideten anderen jungen Mädchen, die ihre Trauzeuginnen darstellen, nebst Chambelares, in Gardeuniform gewandte junge Burschen, schreiten feierlich, einer Hochzeit gleich, in die Kirche. Die geöffneten Türen machen es uns einfach, diese Zeremonie, die man uns als Feiern der Heiratsfähigkeit erklärt hat, zu beobachten. Was in Wien vielleicht der Debütantinnenball für die Mädchen der Oberschicht bedeutet, das ist für die Mexikanerin die Quinceanera. Sie wird in der mexikanischen Gesellschaft offiziell als Frau vorgestellt und gefeiert. 

Die Kirche hat gerade ihre Lichter gelöscht, als ein uns nur zu gut bekannter Rhythmus ertönt. Haben wir schon wieder vor einer Diskothek geparkt!? Aber es ist nicht die Musik, die uns heute erheitert, ist doch die der Kirche gegenüberliegende Disko in sicherer Entfernung. Vielmehr sind es die Autos ihrer Besucher, die ein ausgewachsenes Verkehrschaos verursachen und immer wieder die schmale Straße zum Ort des Geschehens hinauffahren. Mit dem Tesomobil genau in dieser Straße parkend, haben wir nicht eben zur Entspannung der Lage beigetragen, doch ist es nicht unser Mobil, welches sich unter einem lauten kratzenden Geräusch im Takt des dagegen gefahrenen Autos bewegt, sondern der Pickup an der Ecke. Hatte der Fahrer wohl so viel Respekt vor dem Tesomobil und extra viel Platz zwischen sich und uns gelassen, so reichte es dann nicht mehr zur anderen Seite, wo es dann auch krachte. Aber nimmt man hier nicht alles so genau und es war auch zu dunkel, um Näheres zu erkennen. Jedenfalls fährt der Verursacher einfach weiter.

Melodischer Gesang des Pfarrers der Kirchengemeinde beim Abhalten der Messe ist das erste, was wir nach dem Aufstehen hören. Die Türen sind wieder geöffnet und von dem nächtlichen Autochaos auf dem kleinen Hügel der Stadt ist nichts mehr zu hören und zu riechen. Stattdessen dringt wunderschöne Kirchenmusik, auch noch schön gesungen, zu uns ins Tesomobil. Wir beschließen, noch einen oder vielleicht zwei Tage hier zu bleiben. Obwohl wir uns von Culiacán nichts erwartet hatten und nur kurz Wasser auftanken wollten, hat es uns bislang sehr angenehm überrascht, was wohl auch an dem schönen Stellplatz und dem nahe gelegenen Café mit Internetverbindung und der Fastfoodkette an der Ecke liegt.

Jedem Reisenden in Mexiko sei dies auch als Tipp für eventuell gesuchte Internetverbindungen gegeben: Wo es schnelles amerikanisches Essen gibt, da findet sich hierzulande auch oftmals ein drahtloses Internet. Wer kein Anhänger dieser Ernährungskultur ist, dem reicht der immer wieder aufladbare Wasserbecher zum Surfen in den Wellen des weltweiten Netzes.

Die nächste Welle erwartend, schicken wir viele Grüße aus Culiacán auf unserem Weg nach Mazatlán
Lella und Tommi

Entsprechende Bildergalerie der ehemaligen privaten web page ansehen:

tesomobil.de/index.php

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