"Michoacán - Sag mir, wo die Fischer sind…"

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Nach langer Zeit regnet es zum ersten Mal in der 1.900 m hoch gelegenen Stadt Morelia, als wir nachmittags mit unserem Mobil in der Innenstadt ankommen. Unseren obligatorischen Stadtrundgang verschieben wir um die Dauer einiger UNO-Partien im Wohnzimmer unseres fahrbaren Untersatzes. Bei bereits angebrochener Dämmerung machen wir an diesem Tage auch nur noch einen kurzen Spaziergang um die Kathedrale und den Hauptplatz dieser durchaus hübschen, durch die Vielzahl an prächtigen Kolonialgebäuden geprägten Stadt. Schon lange nach dem Dunkelwerden finden wir unter den Arkaden am Zocaló ein nettes Café, welches zu unserer größten Überraschung mit Illy-Dosen geschmückt ist, und lassen uns von einer in traditionellen Kostümen gekleideten Mariachi-Gruppe, fünf junge bestrumpfhoste Studenten, professionell und sangesgewandt, in den Abend trällern.
 
Als wir an unser Auto zurückkommen, sind wir froh und stolz, überhaupt einen Parkplatz im Herzen der Innenstadt gefunden zu haben, wo doch hier alles sehr eng zugeht. Ungefähr so, wie wenn man am Museumsuferfest versucht, am Städel einen Parkplatz zu finden. Unserem kartoffelähnlichem Schlaf sei Dank, schlummern wir trotz des Trubels um uns herum bald ein. Erst um drei Uhr nachts wird Lellas Schlaf durch die fiese Fratze des Verbrechens und die durch sie hervorgerufenen Geräusche unsanft geweckt. Einem Wachhund gleich, stürmt sie aus der Türe zum Heck des Mobils, wo mehrere dunkle mit einem Messer bewaffnete Gestalten gerade dabei sind, unser orangefarbenes Dingi vom Heckträger zu schneiden. Durch den Lärm aufgeschreckt, lassen sie von ihrer Tat ab und flüchten mit ihrem Auto. „Die Schweine haben versucht, unser Boot zu klauen!“, ist das erste, was Thomas an diesem frühen Morgen zu Gehör bekommt.
 
Der instinktive Ruf nach der Polizei stellte sich im Nachhinein als zu erwartende Farce heraus. Zwar haben wir das Kennzeichen des Fluchtautos notiert und dem Beamten mitgeteilt, doch die Aussichten auf einen nahenden Fahndungserfolg sind wohl eher Fantasterei. Der Polizist hatte zwar schon den möglichen Übeltäter in seinem Pickup mitgebracht, doch handelte es sich hier wohl eher um seinen Cousin, den er zu dieser Touristen-Theatervorstellung mitbrachte. Über die hiesigen Ermittlungsmethoden sind wir erstaunt, als der schwer bewaffnete Polizist seine spärlichen Notizen auf die Rückseite eines halb zerrissenen Schulheftes schreibt, andererseits aber erleichtert, dass er nicht eine Steintafel aus der Tasche zieht. Um unsere kostbare Zeit nicht länger in Anspruch zu nehmen, verzichtet er an dieser Stelle auch auf das Aufnehmen unserer Personalien, notiert sich aber unsere Handynummer, auf der er anzurufen verspricht, sobald es etwas zu berichten gäbe.
 
Noch in der Nacht wechseln wir unseren Standplatz, nicht ohne erstaunt zu sein, dass wir nach dem ganzen Gewusel auf weiter Flur das einzig geparkte Auto in diesem Stadtteil sind und beziehen Station bei einer Pemex-Tankstelle. Auf Grund der Geschehnisse haben wir nur noch wenig Sympathie für diese Stadt übrig und besichtigen nur noch die Gegend um das schöne Aquädukt und die Kirche Santuario de Guadaloupe mit ihrer pompösen Ausgestaltung.
 
Unsere weitere Fahrt führt uns durch hügelige Landschaften zwischen 2.000 und 3.000 m, zwischenzeitlich haben wir das Gefühl, durch das Voralpgebiet in Österreich zu fahren. Es geht kurvenreich hinauf und wieder hinab durch saftgrüne Felder und Sumpfgebiete und erreichen Pátzcuaro, ein verschlafenes Örtchen, dessen Häuser alle gleich sind: Weiß gestrichen, mit braunem Sockel, roten Ziegeldächern und die Schriften im selben Stil mit gleich rotem Anfangsbuchstaben wirken auf uns ziemlich eintönig im Vergleich zu den kunterbunten Eindrücken der letzten Woche. Schon bald fahren wir hinunter zu einem der Parkplätze bei den Bootsanlegern und machen sofort Bekanntschaft mit Juan, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, auf parkende Autos aufzupassen. Mit dem in die Jahre gekommenen Kahn, der wie vieles hier in Mexiko nur noch von den zahlreichen Gebeten zusammengehalten wird, machen wir uns auf den Weg zur Insel Janitzio.
 
Während der Fahrt stellen wir fest, dass es sich bei unserem Boot scheinbar um die Überreste eines alten LKW handelt. Angetrieben von einem Fordmotor, wird hier mit einem Lenkrad gelenkt und zwischen Vorwärts- und Rückwärtsgang mittels Kupplungspedal gewählt. Die Innenbeleuchtung besteht aus alten Blinkern und Rückfahrscheinwerfern und den Raum über unserem Trucker ziert ein alter Außenspiegel, während die Seiten mit alter LKW-Plane geschmückt sind. Doch wie so oft: Es funktioniert und wir wandern schon bald hinauf auf das kleine Inselchen, auf dessen Gipfel eine riesige Statue des Freiheitskämpfers Morels thront. Auf unserem Abstieg durch die engen und steilen Gassen der Insel halten wir immer wieder Ausschau nach den sagenumwobenen, den 50-Peso-Schein schmückenden Fischern, die mit ihren schmetterlingsförmigen Netzen den so berühmten sowie vom Aussterben bedrohten Pescado Blanco aus dem See zaubern. Doch wir bekommen sie nicht zu Gesicht. Dafür vergewaltigt auf der Rückfahrt eine Drei-Mann-Mariachi-Gruppe ihre Stimmbänder und Instrumente, doch auch diese Qual hat ein Ende, als wir wieder das pátzcuarianische Festland erreichen.

Da wir in den letzten Tagen immer nur kurze Strecken zurückgelegt haben, fällt es heute nicht schwer, die 250 km bis ins Biosphärenreservat El Santuario de la Mariposa Monarca zu fahren. Wir sind angekommen in der Wiege der mexikanischen Umweltbewegung, denn hier wurde 1985 von 100 bedeutenden Schriftstellern und Intellektuellen ein viel beachtetes Manifest verfasst, als durch Holzeinschlag der Lebensraum der Monarch-Schmetterlinge bedroht war. Obwohl immer noch Holz geschlagen wird und einige der angelegten Wege zum Besuchen schlichtweg gesperrt sind und auf den zugänglichen Wegen deutliche Spuren des Holztransportes zu sehen sind, treten jedes Jahr Millionen der filigranen Kreaturen die über tausende Kilometer lange Reise von Nordamerika bis nach Mexiko an, um hier die kalten Monate zu überwintern.

Wir sind bis ganz hinauf gefahren und müssen somit nur noch 1 Stunde bis kurz unterhalb des Berggipfels durch die dünne Höhenluft hinauf laufen und schnaufen, um Zeuge eines spektakulären Naturschauspiels zu werden: Die millionenfach in den Baumwipfeln hängenden schwarz-roten Falter geben den Nadelbäumen das Antlitz eines herbstlichen Laubwaldes. Erst die morgendlichen Sonnenstrahlen erwecken sie zu neuem Leben und lassen sie aufgeregt durch die Lüfte flattern. Der Zeitpunkt unseres Besuches könnte besser nicht sein, denn zwischen Oktober und Dezember schwärmen diese zartbunten Geschöpfe zur Paarung ein. Wenn Mitte März der Rückflug erfolgt, legt das Weibchen dann ihre Eier in Nordamerika ab, deren Frucht dann wiederum später Eier ablegt. Es ist diese "Generation", die wieder zum Flug nach Mexiko aufbricht.

Auch wir brechen auf und steigen hinab zum Parkplatz direkt vor den Toren dieses UNESCO-Weltkulturerbes. Bis zum Auto kommen wir allerdings nicht, da uns der Chef des im Aufbau befindlichen Restaurants zu Tisch bittet. Auf wackeligen Planken unter Plastikfolie wundern wir uns, dass die Tacos eine blaue Farbe haben. Hinsichtlich des Aussehens und der Konsistenz rufen sie zudem starke Erinnerungen an unseren kürzlich entsorgten Spüllappen hervor. Doch auf Nachfragen wird uns versichert, dass es sich hierbei um eine besondere Maissorte handelt. Merkwürdig für uns nur, dass die das Restaurant betreibende Familie den herkömmlichen Tacos den Vorzug gibt. Doch unsere Mägen sind schon einiges gewöhnt und wir sind voller Zuversicht, dass sie auch dieses Mahl verkraften werden.
 
Weiter gehts über Toluca nach México D.F., der Stadt, von der niemand genau sagen kann, wieviele Einwohner sie tatsächlich hat. 
 
Köstliche Grüße
Lella und Tommi

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